Ein Vogel weist uns den Weg
Nach dem Harry und ich uns an der Rosa Granitküste ausgiebig von der Bretagne verabschiedet haben und uns bei unserer Lieblings-Boulangerie Marie Blachère noch mit einem Vorrat an extra großen, belegten Baguettes eingedeckt haben, kommt Campervan MoMo wieder mal so richtig in Fahrt. Gute 300 Kilometer weit bringt er uns an diesem Nachmittag noch in den Süden. In einem kleinen verschlafenen Dorf in der Nähe von La Rochelle legen wir einen Zwischenstopp ein und verbringen eine ruhige Nacht in den deutlich wärmeren Gefilden. Beim Frühstück am nächsten Morgen lässt ein Vogel mein Biologenherz höher schlagen. Ein Wiedehopf direkt neben unserem Van mitten in der Ortschaft. Dieser Zugvogel ist durch seinen langen gebogenen Schnabel und seiner aufrichtbaren Federhaube unverkennbar und in Mitteleuropa allgemein bekannt, wird in freier Wildbahn aber eher selten beobachtet. Der Bestand ist leider stark zurückgehend und in weiten Teilen ihres früheren Verbreitungsgebietes ist er bereits verschwunden. In Österreich erscheint er auf der Roten Liste in den höchsten Gefährdungsklassen und in Deutschland wurde er zum Vogel des Jahres 2022 gewählt. Und ich sitze hier mit Müsli und Kaffee und kann diesen Piepmatz einfach so aus nächster Nähe beobachten, wie er am Boden nach Nahrung sucht. Wie genial ist das denn?! Genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Im Juli / August übersiedelt er nämlich schon wieder von seinen Brutgebieten in die Überwinterungsareale im Savannengürtel südlich der Sahra. Und das ist auch unser Stichwort für den heutigen Tag – Sand. Wir haben noch zirka 450 Kilometer vor uns, um an unser heutiges Ziel zu gelangen, und müssen dann schön langsam mal los.
Von Mühlen & Eseln
Fast fünf Stunden benötigen wir, um die restliche Strecke durch die Region Neu Aquitanien zurückzulegen. Dies liegt vor allem daran, dass wir nur Landstraßen fahren und ich ständig irgendwelche Motive erblicke, die ich mit der Fotokamera festhalten möchte. Nicht selten kommt es vor, dass ich bei voller Fahrt aufschreie und Harry zum Anhalten zwinge, weil ich wieder mal etwas Cooles entdeckt habe. Harry verbringt viel Zeit damit, den Bus zu wenden und auf den kleinsten Dorfstraßen herumzukurven, um mich genau dort hin zu kutschieren, wo ich die Stimmung am besten einfangen kann. So kommt es auch, dass wir auf diversen Schotterstraßen eine alte Mühle inmitten von Weingärten umrunden und einem Esel Hallo sagen. Ich denke Harry ist froh darüber, dass mir danach für eine geraume Zeit die Augen zufallen und er uns in Ruhe zur größten Sehenswürdigkeit der Region bringen kann – die Dune du Pilat.
Wandern auf der Wanderdüne
Auf den letzten Kilometern navigiere ich Harry nicht direkt zum offiziellen und kostenpflichtigen Parkplatz. Wenn ich damals schon gewusst hätte, dass die Parkgebühren zu 100 Prozent dem Erhalt dieses Naturwunders dienen, dann hätten wir die paar Euro gerne ausgegeben. So aber finden wir am nördlichsten Ende der Düne am Straßenrand einen freien Platz für MoMo. Nicht weit davon entfernt befindet sich ein eher unscheinbarer Zugang zur Düne. Ein altes Schild, das den Durchgang verbietet, hängt neben einem riesigen Loch im Zaun. Ich habe zunächst Hemmungen, mich darüber hinweg zu setzen. Als ich aber beobachte, dass ständig Einheimische ohne mit der Wimper zu zucken diesen Weg zur Düne nehmen, schlüpfen auch wir hindurch. Die ersten Meter gehen wir einfach durch einen Wald mit sandigem Boden. Aber bald schon können wir die Schuhe ausziehen und barfuß weiterlaufen, durch eine Vegetation, die zunehmend von der Düne verschluckt wird. Jahr für Jahr wälzen sich die Sandmassen in die Pinienwälder des Hinterlandes hinein und „überrollen“ alles was ihnen in den Weg kommt. Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass der Sand unter unseren Füßen angeblich über die Jahre schon eine Straßenkreuzung und ein ganzes Hotel unter sich begraben haben soll.
Schon nach kurzer Zeit türmen sich vor uns riesige Mengen an Sand auf und es verschlägt mir sogleich den Atem, da wir ordentlich bergauf stapfen müssen. Zuerst erblicken wir einen sandigen Gipfel mit vielen Menschen darauf. Doch dann eröffnet sich auch der Blick hin zum Atlantik. Ein traumhaft schöner Anblick. Noch viel beeindruckender ist die Aussicht von ganz oben. Auf der einen Seite eine riesige dunkelgrüne Waldfläche, auf der anderen Seite das weite blaue Meer und dazwischen die Düne, die sich fast drei Kilometer Richtung Süden erstreckt. Nun können wir auch die Holztreppe mit den 150 – 160 Stufen erkennen, die jedes Jahr neu angebracht wird und ständig freigeschaufelt werden muss, damit den Besuchern der Aufstieg erleichtert werden kann. Je weiter wir uns von ihr entfernen, umso weniger Menschen treffen wir an. Unsere Wanderung entlang der Düne führt uns durch so manche Senken, die so tief sind, dass man um sich herum nur mehr Sand erblickt und man das Gefühl hat mitten in der Wüste zu stehen. Jetzt fehlt nur noch, dass am Hügel vor uns ein Karawane mit Kamelen auftaucht. 😄 Natürlich passiert nichts dergleichen. Dafür lassen wir uns einige Meter weiter im Sand nieder und genießen die geniale Aussicht auf den Atlantik.
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Ich bin Iris, Gründerin von Travel to Find. Hier dreht sich alles um das Unterwegs-Sein. Um Reisen voller unvergesslicher Momente, die man nicht suchen muss, sondern einfach findet. Und um das Leben selbst, das uns zustößt, während wir uns etwas völlig anderes vorgenommen haben.
Abendstimmung
Den ursprünglichen Plan, die Düne von Nord nach Süd zu erwandern, verwerfe ich frühzeitig. Vorrangig nicht, weil sich meine Waden beim langen stapfen durch den lockeren Sand melden, sondern weil ich am Campingplatz La Forêt übernachten möchte, der direkt am Fuße der Düne liegt. So machen wir uns auf den Rückweg und schon kurze Zeit später stellen wir MoMo auf einem tollen Eck-Stellplatz ab und genießen beim Kochen den Blick auf die Sandwand, die sich direkt vor uns auftürmt. Dabei beobachten wir Menschen, die zunächst über eine Metalltreppe das erste Drittel erklimmen und dann meist auf allen Vieren bis nach oben krabbeln. Die Vorstellung sich nochmal auf den Weg zu machen und von oben den Sonnenuntergang zu beobachten ist so verführerisch, dass wir sie alsdann in die Tat umsetzen. Außerdem lässt uns die Frage nicht mehr los, ob es wirklich nicht möglich ist, den Berg in aufrechtem Gang zu erklimmen, ohne die Hände zu benützen. Nun ja, was soll ich sagen,… Der Aufstieg erweist sich als eine sehr scheißtreibende Angelegenheit, obwohl der Sand jetzt am Abend schon ziemlich kühl ist. Die Steigung ist enorm, aber die Hände kommen nur selten zum Einsatz und können sich großteils mit dem Bedienen der Kamera beschäftigen. Oben angekommen erkennen wir, dass die Sonne heute nicht mehr im Meer versinken wird. Die Wolkendecke am Himmel ist zu dicht. Das Panorama ist dennoch traumhaft und wir genießen die Zeit und Ruhe in vollen Zügen, hier auf der größten Wanderdüne Europas.
Der Abstieg weckt das Kind in so manchem Erwachsenen. Sie laufen und springen in rasanter Geschwindigkeit den Sandberg hinab und juchitzen lauthals vor Freude. Auch wir folgen diesem Beispiel und ehe wir es uns versehen, stehen wir auch schon wieder auf dem Campingplatz. Wie das hier wohl in zehn Jahren aussehen wird? Wie weit wird die Dune du Pilat ins Landesinnere wandern und was wird sie bis dahin alles unter sich begraben? Mit diesen Fragen und den vielen unglaublichen Eindrücken des Tages im Kopf, gehen wir heute direkt im Schatten dieses absolut beeindruckenden Naturwunders zu Bett.
Und so geht es weiter
Zweideutige Ortsnamen, gewaltige Bauwerke und uralte Olivenbäume. All unsere Erlebnisse in der Region Okzitanien erzähle ich dir im siebten Teil unseres Roadtrips durch Frankreich.