Die Silhouette einer Insel
Ich bin absolut kein Fan von stark touristisch frequentierten Sehenswürdigkeiten, aber manche sind es einfach wert, über den eigenen Schatten zu springen. So verhält es sich auch mit der Felsinsel Mont-Saint-Michel im Golf von Saint-Malo, an der Grenze zwischen Normandie und Bretagne. Wenn ich mir vorstelle, dass hier jährlich 3,5 Millionen Besucher ein und aus gehen, dann sehe ich die riesigen Menschenmassen regelrecht vor mir. Auf das Schlimmste gefasst, bin ich heute aber bereit mich in das Gewimmel zu stürzen.
So verlassen wir den abgelegenen und traumhaft ruhigen Weiher, an dem wir die letzte Nacht verbracht haben und machen uns auf den Weg zu dieser berühmten Klosterinsel. Aber zuerst wollen wir die markante Silhouette auch aus der Ferne betrachten. Dazu legen wir einen Zwischenstopp am Pointe du Grouin du Sud ein. Hier kann man sie auch wirklich gut erkennen, die steile Felsinsel, auf der die Abtei Mont-Saint-Michel spektakulär in den Himmel ragt. Eine majestätische Erhebung inmitten einer riesigen Wattebene. Bei Flut steht man hier direkt am Wasser, aber jetzt bei Ebbe erinnern nur der Geruch, die nasse glänzende Sandfläche mit den Salzpfützen und die Muschel- und Algenreste an die Weiten des Meeres.
Das Ziel immer im Blick
Dieser Anblick macht Lust auf mehr. So fahren wir die letzten 30 Kilometer bis zu dem kleinen Ort Beauvoir, südlich von Mont-Saint-Michel. Auf park4night haben wir hier einen kleinen kostenlosen Wohnmobilstellplatz entdeckt, den wir nutzen möchten. Und siehe da bei Ankunft um die Mittagszeit ist für MoMo tatsächlich noch ein Plätzchen frei. Das ist ein perfekter Start!, Gratis parken beim Besuch einer der berühmtesten Attraktionen Frankreichs. Natürlich ist uns klar, dass unser Fußweg zur Insel fast doppelt so lange dauern wird, als vom offiziellen Parkplatz aus. Aber das stört uns nicht weiter, denn nur wenige Schritte entfernt befindet sich der Fußweg, der am Fluss Couesnon entlang führt. Und das beste daran ist, man läuft immer mit direktem Blick auf den Klosterberg und merkt wie er mit jedem zurückgelegten Meter näher rückt.
Hunderte Fotos später erreichen wir zunächst den Gezeitendamm des Flusses, dessen Sinn wir erst am Ende des Tages verstehen werden. Ich verrate es dir aber jetzt schon. 😉 Die acht Schleusentore geben das Meerwasser, welches bei Flut in den Fluss gelangt unter hohem Druck bei Ebbe wieder frei und fördern dadurch den Abtransport von Sand und Sediment aus der Bucht. Dadurch wird verhindert, dass die Insel zunehmend verlandet und früher oder später zur permanenten Halbinsel wird. Um den maritimen Charakter zu erhalten wurde auch der frühere Straßendamm durch eine Stelzenbrücke ersetzt. Von hier aus ist dieser Steg, der die Insel mit dem Festland verbindet nur noch eine Katzensprung. Auf den breiten Gehwegen wuselt es in beide Richtungen. Viele Menschen wollen sowohl zum Mont als auch wieder retour zum Parkplatz. Dazwischen fahren alle paar Minuten die kostenlosen Shuttlebusse, die einzigen Fahrzeuge, die auf der Brücke gestattet sind. Selbst für das Fahrradfahren gibt es zeitliche Beschränkungen.
Auf der riesigen Sandfläche vor der Insel tummeln sich Menschen und sogar weit draußen kann man Gruppen von sich bewegenden Punkten erkennen, vermutlich Teilnehmer einer geführten Wattwanderung. Denn Infotafeln warnen hier vor Treibsand und auftretenden Wassermassen der rasch einsetzenden Flut und des Gezeitendamms, so dass man sich auf eigene Faust nicht all zu weit vom Berg entfernen sollte.
Hier findest du viele Infos zu all den Orten, die wir während unserer Reise durch die Normandie besucht haben.
Ich bin Iris, Gründerin von Travel to Find. Hier dreht sich alles um das Unterwegs-Sein. Um Reisen voller unvergesslicher Momente, die man nicht suchen muss, sondern einfach findet. Und um das Leben selbst, das uns zustößt, während wir uns etwas völlig anderes vorgenommen haben.
Das Flair eines Klosterberges
Jetzt stehen wir also hier vor diesem grandiosen Bauwerk und brauchen einige Minuten, um alle Details in uns aufnehmen zu können. Die Stadtmauer mit ihren Zinnen und Türmen, die kleine Siedlung mit den vielen dicht aneinander gereihten Steinhäuschen, die sich am Fuße des Berges an den Fels drängen und natürlich die alles überragende Abtei mit den schlanken Türmen und der goldenen Statue des Erzengel Michael, der an der Turmspitze strahlend hell direkt in den Himmel aufzusteigen scheint. Ein wahrlich gewaltiger Anblick.
Wir starten unsere Besichtigungstour nicht wie der Großteil der Besucher durch das Tor des Haupteinganges (der zur Zeit eine Baustelle ist), sondern linker Hand durch das Port des Fanils. Ohne genauen Plan folgen wir der breite Straße sehr steil bergauf, zum Fuße des dreistöckigen Abteikomplexes. Unvorstellbar, wie dieser riesige Bau zur damaligen Zeit entstehen konnte. Auch heute noch wäre die Errichtung eine große Herausforderung. In der Entstehungszeit vom 11. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war es eine Meisterleistung und wurde nicht zu unrecht als Wunderwerk Gottes bezeichnet.
Über kleine schattige Gärten mit toller Aussicht auf die Bucht gelangen wir in ein verwirrendes System an bezaubernden kleinen Gassen und Treppen, über das wir irgendwie beim Nordturm landen. Entlang der Stadtmauer spazieren wir dann an der Ostseite weiter und gelangen wieder zum Haupteingang. Bis hierher war von den erwarteten Menschenmassen nicht all zu viel zu sehen, aber das soll sich nun ändern.
Der Blick vom Tour du Roi hinab auf die enge, gut besuchte Gand Rue versetzt einen zunächst zurück ins Mittelalter. Aber nur bis man die Treppe hinabsteigt und sich dem Menschenstrom anschließt. Hier in den stilvollen Häusern gibt es Unmengen an Geschäften, Souvenirläden, Hotels und Restaurants. Für meinen Geschmack ist die Gasse mit all dem Klimbim völlig überladen und verliert dadurch das Flair, das auf der restlichen Klosterinsel gut zu spüren ist. Wir gehen dennoch die Straße entlang, um zu den Bereichen zu gelangen, zu denen wir noch nicht vorgedrungen sind. Immerhin haben wir uns nun, spät aber doch, an der Touristeninfo eine kostenlose Karte geholt, um auch ja nichts zu verpassen. Die kleinste Gasse auf der Insel, die von der Grand Rue abzweigt und nur 50 cm breit ist, haben wir aufgrund der vielen Besucher dennoch übersehen. Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie voll es hier in der Hauptsaison sein wird und bin froh, dass wir heute einen unbedeutenden Wochentag im April haben und sich die Leute auf dem Areal gut verteilen.
Vorbei an der winzigen Kirche und dem ebenso kleinen Friedhof gehen wir zum Eingang der Abtei um diese zu besichtigen. In all den Gassen, in denen es an jeder Ecke etwas Neues zu bestaunen gibt, haben wir das Zeitgefühl völlig verloren und so war der Einlass in den Klosterkomplex zu unserem Bedauern leider nicht mehr möglich. Wir müssen uns wohl oder übel mit dem Anblick von außen zufrieden geben. Schade!
Die erste Welle
Müde von dem langen Herumschlendern begeben wir uns auf die Westseite des Berges und legen an den Felsen der kleinen Chapelle St-Aubert eine Pause ein. Der Blick auf die weiten, von Meerwasser durchzogenen Sandflächen wirkt beruhigen und tut richtig gut, nach dem ganzen Trubel in der Grand Rue. Während wir es uns mit der mitgebrachte Jause gemütlich machen, kommt plötzlich Unruhe in die Möwen, die auf den Sandbänken eine Rast eingelegt haben. In der Ferne sehen wir Schwärme von ihnen unter lautem Geschrei aufsteigen und fragen uns was da wohl los ist. Kurze Zeit später erblicken wir den Grund. Eine kleine Welle überflutet zunehmend all die Sandbänke vor der Insel. Zuerst ist uns nicht ganz klar, was das zu bedeuten hat, aber dann verstehen wir, dass es sich dabei um die erste Gezeitenwelle „La Mascaret“ handelt. Nicht weit hinter dieser entdecken wir dann auch noch einen Seehund, der sich mit der Flut herein schwemmen lässt. Den wenigen Menschen um uns herum scheint dies aber alles zu entgehen.
Völlig fasziniert von diesem Schauspiel suchen wir uns ein Plätzchen etwas weiter oben auf den Felsen und beobachten, wie sich das Meer seinen Weg zurück in die Bucht bahnt. Vorab las ich in unserem Reiseführer, das hier die Flut so schnell sei, wie ein galoppierendes Pferd und ich musste darüber lachen. Jetzt verstehe ich, was damit gemeint war und bin tief beeindruckt von diesem Naturphänomen. Jetzt möchte ich nicht unerfahren irgendwo mitten in dieser weiten Wattlandschaft stehen, denn diese erste kleine Welle ist nur der Anfang. Innerhalb kürzester Zeit steigt der Wasserstand um einige Meter und wir können das von unserem Felsen aus hautnah mitverfolgen. Und plötzlich sitzt man direkt am Meer – sehr beeindruckend!
Wenn der Tag zur Neige geht
Lange Zeit sitzen wir hier, hängen unseren Gedanken nach und staunen über die weite Wasserfläche, die vor unseren Augen entstanden ist. Jetzt da die Sonne hinter den Wolken am Horizont verschwunden ist, wird es aber Zeit aufzubrechen, denn wir wollen nochmal durch die Gassen des Klosterberges spazieren. Nur noch vereinzelt sind Menschen unterwegs und den Nordturm haben wir ganz für uns alleine.
Auch hier hat sich die Landschaft verändert. Die Insel ist zwar nicht vollständig vom Meer umschlossen, das passiert nur alle paar Monate, aber dennoch hat sich eine breite Wasserfläche in der Bucht vor dem Festland gebildet. Wir schlendern durch die jetzt absolut ruhigen Gassen und ich frage mich, wie es wohl sein muss, hier eine Nacht zu verbringen? Das schummrige Licht der Laternen, die Stille in dieser kleinen Siedlung und das ganz besondere Ambiente des Klosters über sich zu wissen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ich mir in Zukunft hier mal ein Hotel leisten werde, das Billigste kostet immerhin etwa 170€ die Nacht. Daher genieße ich die Zeit jetzt um so mehr und sauge die Stimmung in mich auf. Kurz vor Sonnenuntergang verlassen wir die Insel wieder und machen uns über den Steg auf den Rückweg. Ein Pärchen kommt uns zu Fuß entgegen, zwei Rollkoffer hinter sich herziehend. Sie sehen verliebt aus und lachen viel. Vermutlich werden sie in einem der Hotels übernachten. Ich muss lächeln und wünsche ihnen in Gedanken eine romantisch Zeit am Klosterberg.
Und so geht es weiter
Felsblöcke, die die Phantasie beflügeln und aus einer Welt zu sein scheinen, in der Naturgesetze keine Gültigkeit haben. Die berühmte Côte de Granit Rose in der Nordbretagne ist nur eines der vielen Highlights, das ich dir im fünften Teil unseres Roadtrips durch Frankreich ans Herz legen möchte.